Deutschland und Europa stehen aufgrund der Ausbreitung von Covid-19 und der zur Eindämmung der Pandemie getroffenen Maßnahmen vor massiven wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Rückgänge der Wirtschaftsleistung und der Anstieg der Arbeitslosigkeit werden wahrscheinlich gravierender sein als in der Finanzkrise 2008. Bereits jetzt haben viele Kommunen angekündigt, vor dem Hintergrund drastisch einbrechender Gewerbe- und Einkommenssteuereinnahmen geplante Investitionen zurückzustellen.
Deutschland ist es nach 2008 gelungen, den wirtschaftlichen Einbruch der Finanzkrise zu kompensieren und schnell auf einen nachhaltigen Wachstumspfad einzuschwenken. Dazu haben die Maßnahmen des Konjunkturpakets II maßgeblich beigetragen. Hierzu zählten v.a. die Erleichterungen im Vergaberecht und Zukunftsinvestitionen der öffentlichen Hand, insbesondere in den Bildungsbereich (Kindergärten, Schulen, Hochschulen) sowie die Infrastruktur (Verkehr, Krankenhäuser, Städtebau und Informationstechnologie) inklusive der Maßnahmen zur Verringerung der CO2-Emissionen und der Steigerung der Energieeffizienz.
Regionale Wertschöpfung steigern / nationale und europäische Klimaziele erreichen
Bei den anstehenden politischen Entscheidungen zur wirtschaftlichen Wiederbelebung und Erholung im Zusammenhang mit Covid-19 sollten wirksame und effektive Investitionen in die regionale Wertschöpfung zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung erfolgen, die im Einklang mit den Klimazielen der Bundesregierung stehen und die europäischen Klimaschutzziele im Blick haben. Der Bausektor ist mit ca. 2 Mio. Beschäftigten und einem jährlichen Bauvolumen von 400 Mrd. € einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Deutschlands. Da die Bauwirtschaft auch während der vergangenen Wochen durch weitsichtiges Handeln der Politik (z.B. Offenhalten der Baustellen) bewiesen hat, dass sie ein wichtiger Wirtschafts- und Beschäftigungsmotor ist, muss jetzt sichergestellt werden, dass es mittelfristig zu keinen Investitionsengpässen im Baubereich bei privaten und öffentlichen Gebäuden kommt.
Der Gebäudebestand ist für ca. 35% des Energieverbrauchs und ca. 30% der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Um die Klimaziele zu erreichen, muss die Modernisierungsrate im Gebäudebereich auf mindestens 2% gesteigert werden. Die energetische Modernisierung des Gebäudebestandes – dazu zählen neben den baulichen Maßnahmen an der Gebäudehülle auch der Neu- und Ersatzbau – bietet durch die Sicherung und den Aufbau von Beschäftigung sowie dauerhafte Energie und CO2-Einsparungen doppelten Nutzen. Allein im Bereich von Baumaßnahmen an der Gebäudehülle arbeiteten nach einer Studie des FIW München bereits im Jahr 2016 ca. 400.000 Menschen. Durch die Erhöhung der Modernisierungsrate und Investitionen in die Gebäudehülle könnten 280.000 neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen.
Sinkender Energieverbrauch = sinkender Bedarf an fossilen Energieträgern
Moderne, energetisch optimierte Gebäude bewirken nachhaltig niedrigere Energieverbräuche. Sie reduzieren damit nicht nur den Verbrauch und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern für Heizung,Kühlung und Warmwasser, sondern ermöglichen erst durch die dauerhafte Senkung des Energiebedarfs den effizienten Einsatz erneuerbarer Energien. Da die Erzeugung erneuerbarer Energien nicht beliebig gesteigert werden kann, ist die Senkung des Energieverbrauchs der Schlüssel zur Klimaneutralität. Ein niedriger Energieverbrauch führt auch langfristig zu niedrigeren Energiekosten.
Nationale und europäische Klimazielerreichung ohne Gebäudemodernisierung nicht möglich
Es besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens in Deutschland und Europa, dass die energetische Modernisierung des Gebäudebestandes Basis für die Erreichung der mittel- und langfristigen Klimaziele ist. Zu diesen Zielen hat sich die Bundeskanzlerin in ihrer Rede zum Petersberger Klimadialog 2020 ausdrücklich bekannt. Die Europäische Kommission hat die „Renovation Wave“ als einen der zentralen Bausteine des europäischen Green Deal definiert.
Es gilt genau jetzt, die energetische Modernisierung des Gebäudebestandes voranzutreiben. Dies gilt in gleichem Maße für die Initialisierung von Maßnahmen im Neu- und Ersatzbau. Hier liegt das Potenzial für nachhaltige Investitionen.
Wir fordern Bund und Länder deshalb auf, folgende Maßnahmen anzugehen:
Modernisierungs- und Neubauoffensive der öffentlichen Hand (Konjunkturpaket III)
- Die Bundesregierung hat in ihrem Klimaschutzprogramm 2030 auf die Vorbildrolle öffentlicher Gebäude hingewiesen. Etliche Kommunen haben den „Klimanotstand“ ausgerufen. Nun
sind Kommunen vor dem Hintergrund einbrechender Gewerbe- und Einkommenssteuereinnahmen aber kaum noch in der Lage, dringend erforderliche Investitionen in den Gebäudebestand – z.B. Schulen, Kindertagesstätten, Krankenhäuser und Verwaltungsgebäude – vorzunehmen, geschweige denn, neue Gebäude zu errichten. Solche Investitionen sind aber dringend erforderlich und kommen allen Bürgern dort zugute, wo sie leben. Es sind häufig „Leuchtturmprojekte“, die das Vertrauen in Staat und Politik stärken können. Ein „Konjunkturpaket III“ soll system- und materialoffen ausgestaltet sein und nicht nur Initiativen zur schnellen Aktivierung von Modernisierungs- und Neubaupotenzialen öffentlicher Gebäude, sondern v.a. auch Erleichterungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge umfassen.
Eigentümer von Nichtwohngebäuden und vermieteten Wohngebäuden aktivieren
- Um Eigentümer von Nichtwohn- und vermieteten Wohngebäuden besser für energetische Modernisierungen zu motivieren, sollten bestehende steuerliche Hemmnisse schnellstens
beseitigt werden. Es wäre daher sinnvoll, anschaffungsnah entstehende Kosten für energetische Modernisierungsmaßnahmen sofort berücksichtigungsfähig zu machen, auch wenn sie
die bislang geltende Grenze von 15% der Anschaffungskosten des Gebäudes übersteigen. Darüber hinaus sollten standarderhöhende energetische Sanierungsmaßnahmen nicht über
die Nutzungsdauer des Gebäudes abgeschrieben werden müssen, sondern es sollte ein wirkungsvoller Sanierungsanreiz etwa durch eine verkürzte degressive Abschreibung gegeben
werden.
Wirksame Instrumente für genossenschaftliche und kommunale Wohngebäude
- Wohngebäude, die sich im genossenschaftlichen oder kommunalen Eigentum befinden, würden von steuerlichen Verbesserungen nicht profitieren. Für diese sollten deshalb zeitnahe
deutliche Verbesserungen bei den Konditionen bestehender Förderprogramme eingeführt werden. Denkbar ist auch, sie in eine Modernisierungsoffensive der öffentlichen Hand mit
einzubeziehen.
Förderung für selbstgenutztes Wohneigentum verbessern
- Um privates Kapital zur energetischen Modernisierung von selbstgenutztem Wohneigentum zu aktivieren, kann über die nochmalige Verbesserung der steuerlichen Förderung sowie eine gleichwertige Erhöhung der Konditionen der KfW-Förderprogramme nachgedacht werden.
Aufstockungen und Dachausbauten erleichtern
- Mit Aufstockungen und Dachausbauten wird zusätzlicher moderner und energieeffizienter Wohnraum v.a. in den Ballungszentren geschaffen, ohne dass weitere Flächen versiegelt
werden. Gleichzeitig verbessern diese als Bestandteil umfassender Modernisierungsvorhaben meist den energetischen Zustand des gesamten Gebäudes. Um Aufstockungen und
Dachausbauten zu erleichtern, sollten bestehende planungsrechtliche Hemmnisse beseitigt und insbesondere der höhere Planungs- und Beratungsaufwand kompensiert werden.
Ersatzneubau den umfassenden energetischen Sanierungen förderrechtlich gleichstellen
- Es gibt Teile des Wohn- und Nichtwohngebäudebestandes, bei denen eine Sanierung unter den Aspekten der Ressourceneffizienz, der Stadtplanung und der Wirtschaftlichkeit nicht
sinnvoll ist. Dazu zählen Gebäude, bei denen sich die Bausubstanz in einem schlechten Zustand befindet, deren veraltete Grundrisse nicht für eine moderne Nutzung geeignet sind oder die einer Nachverdichtung im Wege stehen. Mit Ersatzneubauten kann in diesen Fällen nicht nur zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden, der den höchsten Energiestandards entspricht, sondern es lassen sich bei diesen gleichzeitig z.B. Maßnahmen für Barrierefreiheit in Kombination mit modernen Grundrissen umsetzen. - Die bisherige Beschränkung der Förderung von Ersatzneubauten auf die Neubauförderung wird diesem Anspruch aber nicht gerecht, da die erhöhten Aufwendungen, z.B. für Abriss und
Entsorgung, aber auch Ersatzwohnraum, Mietausfall etc. nicht berücksichtigt werden. Deshalb plädieren wir dafür, den Ersatzneubau der Effizienzhaussanierung in den Fördersätzen
anzugleichen.